Am 16. März fand der digitale Bodensee-Aerospace-Meeting-Auftakt 2021 statt. Nach der Corona-bedingten Verschiebung im März 2020 sollte eine virtuelle Key-Note und anschließende Podiumsdiskussion unter dem Motto „Stopover – Ausblick für die Luftfahrt im ersten Jahr nach dem Corona-Schock“ die aktuelle Lage der Luftfahrtindustrie erörtern.
Nach der Begrüßung von Peter Schwarz, Geschäftsführer des bayrischen Luftfahrtclusters bavAIRia, stellte Michael Santo, Managing Partner der h&z Unternehmensberatung, genau ein Jahr nach dem ersten Lockdown in Deutschland die Ergebnisse der aktuellen BDLI-Studie „Covid-19 und die Folgen für die deutsche Luft und Raumfahrtzulieferindustrie“ vor. Insbesondere ging er auf die jetzigen Herausforderungen ein. Unternehmen litten derzeit an Liquiditätsengpässen, die vor allem durch den Wegfall von Umsatz hervorgerufen werden. Weiter werde die Lage durch Überkapazitäten als Folge der unterdurchschnittlichen Fertigungsraten intensiviert. Gerade jetzt, wo die Fertigungsraten der Flugzeughersteller wieder langsam ansteigen, in der sogenannten Ramp-Up-Phase, benötigen die Luftfahrtzulieferer jedoch Ressourcen, um eine Vorfinanzierung von Material leisten zu können.
Um durch die Krise zu kommen haben die Unternehmen, laut den Studienergebnissen, vor allem eine Reduktion der Overheadkosten durch Umstrukturierungen vorgenommen. Darüber hinaus wurden Prozesskosten und Produktionskosten gesenkt. Neben der Inanspruchnahme von Kurzarbeit wurden strategische Maßnahmen zur Geschäftszweckerweiterung und Diversifizierung umgesetzt. Die Schlüsselerfahrungen in der Krise war, dass die Luftfahrtzulieferer bis zu 85 Prozent von Airbus abhängig waren. Deshalb versuchen nun die Unternehmen insbesondere neue Kunden aus anderen Branchen zu gewinnen.
Die weitere Paneldiskussion zeigte jedoch auf, dass dies auch ein Umdenken in den Prozessen und Kosten mit sich bringt. Wenn der Bereich Automotive angestrebt würde, bedeute dies für die Luftfahrt eine hohe Prozessreife zu erlangen, da hier ein absoluter Preisdruck bestünde. Vielmehr werden in anderen Branchen Technologien, wie sie in der Luftfahrt gebraucht werde, nicht bezahlt.
Prof. Dr. Rolf-Jürgen Ahlers, CEO ProxiVision und Vorstandsvorsitzender LR BW, zeigte in der Paneldiskussion auf, dass die Technologien aus der Luft- und Raumfahrt in der Krise einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet haben. In Baden-Württemberg musste zu Anfang der Krise Auftragsrückgänge bis zu 70 Prozent hingenommen werden. Durch den hohen Diversifizierungsgrad der Unternehmen sei es jedoch möglich gewesen Kompensationsmaßnahmen durchzuführen. Traditionell seien die Unternehmen in Baden-Württemberg in der Automobilindustrie und Motorsport, Maschinenbau, Medizintechnik und insbesondere in der Raumfahrt aktiv.
Roland Hengartner, CEO Aerolite und Präsident SAC, verwies auf Investitionen in Technologie für Hybridflugzeuge und berichtete darüber, dass man nun versuche die Lieferketten in Europa abzusichern und in Zukunft resilienter zu arbeiten.
Robert Machtlinger, CEO FACC und Präsident AAI, konstatierte, dass es für die Luftfahrt bis 2025 weiter angespannt bliebe. Er sehe jedoch in Anbetracht der Marktprognosen hinsichtlich eines Rückgangs von Flugverbindungen, dass bis zu 80 Prozent der Menschheit, insbesondere aus Indien und Afrika, noch nie geflogen sind und hier Marktpotentiale bestehen. Darüber hinaus sei die Kommerzialisierung der Raumfahrt ebenfalls eine Chance für die Branche.
Rolf Philipp, CEO Philipp Aircraft und Mittelstandsbeauftragter BDLI, resümierte, dass sich die Zuliefererbranche stark verändern werde. Kunden würden in Zukunft ein finanzstarkes Unternehmen bevorzugen, sodass sich insbesondere der Druck auf KMU intensiviere Kooperationen zu fungieren. Zudem steige die Akquisition von Unternehmen, da der Trend Richtung Insourcing gehe, wobei Nischenprodukte davon unberührt blieben.
Andreas Wetjen, Vice President bei Airbus Systems Procurement, berichtete, dass in der Krise neben den stark betroffenen Flugzeugmarkt die Fertigungsraten für Hubschrauber und auch im Bereich Defence and Space stabil blieben. Um die Lieferketten zu stabilisieren konzentrierte man sich vor allem darauf die Kunden bzw. Airlines liquide zu halten, indem Zahlungen zurückgegeben wurden und Auslieferungen verschoben wurden. Zudem habe man Abnahmen bei Zulieferern vorgezogen und weiter produziert. Insgesamt seien 600 – 700 Flugzeuge im Fertigwarenlager vorrätig. Darüber hinaus habe auch Airbus Umstrukturierungen in der Organisation vorgenommen, um kostenoptimal zu agieren.
Zusammenfassend wird davon ausgegangen, dass zum einen das emissionsfreie Fliegen Potenziale für den Markt liefern wird, wobei die Projekte noch in der Entwicklungsphase steckten. Zudem bringe die Orientierung zum Verteidigungssektor sicherlich Impulse, jedoch entspräche z.B. die Fertigungsraten vom Eurofighter nur einem Volumen von 2 ½ Monaten in der zivilen Luftfahrt. Ferner solle man sich nicht ausschließlich auf Single-Aisle-Jets konzentriere, da so wieder eine erhöhte Abhängigkeit bestünde. Vielmehr seien Spezialbranchen interessant und insbesondere der Markt für industrielle Investitionsgüter mit speziellen technologischen Anforderungen. Auch der in Startlöchern stehende Flugtaxi-Markt sei noch kein Garant für Wachstum. Man müsse abwarten, ob die traditionelle Luftfahrtindustrie beim Markthochlauf berücksichtigt werde.
Der zivile Luftfahrtmarkt wird weiterhin von den Flugbewegungen abhängig sein und damit im weiteren Sinne vom Infektionsgeschehen. Fortschritte in der Impfstrategie seien deshalb von Nöten. Ferner sei es jetzt geboten sich in den Zielbranchen zu positionieren und die Hausaufgaben der Restrukturierung vorzunehmen und die Initiierung von Kooperationen zu forcieren. Es ist derzeit davon auszugehen, dass sich die Luftfahrt erst wieder ab 2023 erholen wird.
Das Bodensee-Aerospace-Meeting wird durch die fünf Partner, Austrian Aeronautics Industries Group (AAI), bavAIRia e.V., BodenseeAIRea Cluster, dem Forum Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg (LR BW) und dem Swiss Aerospace Cluster organisiert.