26. Februar 2021

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Luft- und Raumfahrtbranche – Luftfahrtzulieferindustrie weiter absturzgefährdet-

Stuttgart, 26. Februar 2021. Die Corona-Krise hat massive Auswirkungen auf den internationalen Flugverkehr und auf die Fluggesellschaften, die zum Teil auf staatliche Hilfen angewiesen waren. Die Einschnitte halten bis zum jetzigen Zeitpunkt, wenn auch nicht in der gleichen Vehemenz, wie im Frühjahr 2020, an. Vor der Luftfahrtindustrie liegt noch ein langer Weg bis zur Stabilisierung. Von ihr hängen viele Arbeitsplätze im Tourismus aber auch an den Flughäfen ab. In Baden-Württemberg ist die Situation der Luft- und Raumfahrtindustrie ebenfalls weiter angespannt. Die Unternehmen rechen mit weiter sinkenden Auftrags- und Umsatzzahlen.

Sinnbildlich für die Folgen der Corona-Krise kann der Absturz von Flugzeugbewegungen im März 2020 herangezogen werden. Diese erholten sich bis August, sackten aber anschließend wieder auf das März-Niveau ab. Im Januar 2021 wurden im Vorjahresvergleich nur die Hälfte der Flugverbindungen geplant. „Dies führte unweigerlich zu einer verringerten und noch anhaltenden verringerten Nachfrage nach Neuflugzeugen und Abnahmen bestehender Bestellungen. Ebenso hat dies weiterhin zur Folge, dass die Auftragslage der vor- und nachgelagerten Branchen, einschließlich der Luftfahrtzulieferer und Tourismusbranche, sank und momentan nur moderat ansteigt. Ebenso spiegeln diese Situation auch die verhaltene und verzögerte Erhöhung der gegenwärtigen Fertigungsraten der Luftfahrt-OEM“, erklärte der Geschäftsführer des Forum Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg (LR BW) Wolfgang Wolf.

 

„Im ersten Halbjahr 2020 konnte Airbus nur knapp die Hälfte an Flugzeugen im Vergleich zum Vorjahr ausliefern“ ergänzte der Vorstandsvorsitzende des LR BW Prof. Dr. Rolf-Jürgen Ahlers. Zur Eruierung des Zustandes der mittelständischen deutschen Luft- und Raumfahrtzulieferer wurden im Auftrag des BDLI 2020 insgesamt drei Studien erhoben. Die ersten beiden Untersuchungen wurden im April und Mai und die dritte Studie im Dezember, während des „Lockdown-Light“ bzw. Wellenbrecher-Lockdowns durchgeführt. „Die aktuelle Studie zeigt deutlich, dass die Unternehmen im Luftfahrtzuliefermarkt bundesweit sehr stark betroffen sind. Sie haben im vergangenen Jahr Nachfragerückgänge von 45 Prozent hinnehmen müssen. Nach wie vor rechnen wir erst im Jahre 2023 oder 2024 mit einer Marktbelebung auf dem Niveau von 2019“, so Prof. Ahlers weiter. „Die Marktentwicklung in der militärischen Luftfahrt und in der Raumfahrt ist von der jetzigen Lage fast nicht betroffen. Es könnten sogar Marktzuwächse von 2 Prozent in letztem Jahr erwirtschaftet worden sein“ konstatiert der LR BW-Vorstandsvorsitzende.

 

„In Baden-Württemberg bewertet ein Großteil der Luft- und Raumfahrtunternehmen die derzeitige Lage als befriedigend, jedoch ist rund ein Viertel der Betriebe weiterhin stark betroffen. Ein Drittel berichtet von zu geringen Auftragszahlen und rechnet weiterhin mit sinkenden Absatz- und Umsatzzahlen“, erklärte Wolfgang Wolf.

 

Kurzarbeit stark nachgefragt, Überbrückungshilfen weniger

 

Bei der Bewältigung der Corona-Krise griffen bundesweit insgesamt 72 Prozent der 1919 teilnehmenden Unternehmen auf das Instrument der Kurzarbeit zurück und 95 Prozent stuften dies als effektivste Hilfsmaßnahme ein. Wurde im April „nur“ von knapp 40 Prozent der LuR-Unternehmen Kurzarbeit angemeldet, stieg die Nutzung im Mai rapide an, sodass fast 70 Prozent der Unternehmen in Kurzarbeit waren. Dieser Anteil verstetigte sich bis heute. Weiter nutzten knapp ein Fünftel die Corona-Soforthilfe, wobei nur 37 Prozent die Soforthilfen als sehr hilfreich bewerteten. Von fast 20 Prozent wurde auf das Angebot der Steuerstundung zurückgegriffen. Drei Viertel der Befragten stuften dieses Instrument als sehr hilfreich bzw. hilfreich ein.

 

Die Überbrückungshilfen und Sozialversicherungsstundung wurden weniger genutzt aber als hilfreich aufgenommen. Nachdem im April noch jeweils ein Viertel die Inanspruchnahme der Steuerstundungen, von Corona-Soforthilfen sowie der Sozialversicherungsstundung plante und im Mai vermehrt aber nur teilweise genutzt wurde, ist bis Jahresende ein rückläufiger Trend in der Anwendung festzustellen. Dies liegt vielerorts auch daran, dass eine Nutzung nach eigenen Aussagen nicht möglich war. Ferner halten es nun mehr als 60 Prozent für wahrscheinlich, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenngleich eine Teil-Verstaatlichung nicht in Frage kommt und nur die Ultimo-Ratio darstellt. Darüber hinaus wächst die Bereitschaft mit strategischen Anlegern zusammenzuarbeiten, wobei Private-Equity-Investoren tendenziell weniger attraktiv erscheinen. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber den geschaffenen Darlehensprogrammen haben diese im Dezember bereits mehr als ein Viertel genutzt – 16 Prozent planen zudem noch eine Inanspruchnahme. Hingegen sinkt seit Jahresbeginn die Nutzung der Bürgschaftsbankprogramme durch die Landesbanken. Nur noch drei Prozent halten die Nutzung für wahrscheinlich und nur zwei Prozent haben auf eine Bürgschaft zurückgegriffen. Ebenso sinkt die Bereitschaft für die akute Nutzung der geschaffenen Schutzschirmverfahren. Die erwartete Einflussnahme auf die Unternehmensstrategie und die bürokratischen Hürden scheinen die Unternehmen, wie zu Anfang der Krise weitläufig diskutiert, abzuschrecken.

 

„In Baden-Württemberg, so Wolfgang Wolf weiter, nutzen über 50 Prozent das Instrument der Kurzarbeit. Nur knapp ein Viertel nahmen die Corona-Soforthilfen in Anspruch. Die Unternehmen sehen sich angesichts des Lockdowns mit Planungsunsicherheiten konfrontiert. Ein Viertel berichtet von Lieferengpässen, insbesondere aus dem asiatischen Raum und bei elektronischen Bauteilen“.

 

Restrukturierung, Diversifizierung und Kooperationen stehen im Mittelpunkt

 

„Die Unternehmen konzentrieren sich jetzt auf die Erschließung neuer Kundenbranchen, Restrukturierungsmaßnahmen, Diversifizierung des Produkt- und Dienstleistungsportfolios sowie auf die Gründung neuer Partnerschaften und Kooperationen“, erläutert der LR BW-Vorstandsvorsitzende Ahlers. Zudem würde in kleinerem Umfang versucht, durch die Aufstockung des Fremdkapitals und Akquisition anderer Unternehmen, die andauernde Krise zu überwinden. Aufgrund der crossindustriellen Relevanz der Luft- und Raumfahrtbranche planten 65 Prozent eine Diversifizierung der Absatzmärkte. „Hier kommen vor allem die Verteidigungsindustrie, die Life-Science-Branche, der Maschinen- und Anlagenbau, die Automobilindustrie, Elektroindustrie sowie der IT-Sektor, Bahnindustrie, Schiffbau und der Energiesektor in Frage“, verdeutlichte Prof. Dr. Ahlers die Interdisziplinarität der Luft- und Raumfahrtindustrie. Zudem planten circa 50 Prozent eine Erweiterung ihrer Geschäftsfelder. Vor allem möchte man sich verstärkt auf die Produktentwicklung und Engineering-Dienstleistungen fokussieren. Bei den Restrukturierungsmaßnahmen werden jedoch vor allem die Reduktion von Overheadkosten und die Anpassung von Personalplänen sowie Maßnahmen zur Erzielung von Prozess- und Kostenoptimierungen verfolgt.

 

„Besorgniserregend bleibt, dass trotz der vielfach umgesetzten Maßnahmen fast die Hälfte der befragten Unternehmen ihre jetzige Geschäftslage schlechter einschätzen als noch im Juni vergangenen Jahres“, äußert sich Wolfgang Wolf kritisch. Der LR BW-Vorstandsvorsitzende fügt hinzu: „Die Lage bleibt angespannt. Grenzschließungen und längerfristige einschneidende Corona-Maßnahmen könnten sogar zu weitreichenden Veränderungen führen. Wir brauchen jetzt unbedingt eine Exit-Strategie, um die vor- und nachgelagerten Branchen zu stärken, damit die Luftfahrtbranche endlich wieder stimuliert werden kann. Deshalb können wir jetzt auch nicht mehr Vorstöße hinsichtlich Privilegien von Geimpften verteufeln“. Davon profitierten nicht zuletzt die mittelständischen Unternehmen. Wolfgang Wolf fügte abschließend hinzu: „Die größte Herausforderung liegt jetzt darin, den Wegfall von Umsatz zu kompensieren. Dies gelingt aber nur durch Aufträge und durch langfristige Planungs- und Investitionssicherheit“.

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